Eine der produktivsten Designerinnen bei Sewunity ist Nicole von Engelinchen. Über 140 Schnitte für Kinder, Damen und Accessoires füllen ihr Portfolio. Aber sie hat doch Zeit für uns gefunden und steht uns im Nähcafé Rede und Antwort. Wie sie zum Nähen gekommen ist und warum das Massenphänomen Nähen immer noch Einzigartiges entstehen lässt erfahrt ihr im Interview.
Sewunity: Hallo Nicole, wie schön, dass du Zeit für uns hast! Das heißt - hast du denn Zeit? Was würdest du gerade machen, wenn du kein Interview geben würdest?
Nicole: Die Kinder haben Ferien und wir sind im Urlaub – aber hey: das ist ja das Tolle daran, ein Schnittdesigner zu sein: Arbeiten kann man von überall auf der Welt 😀 . Aber die Nähmaschine wartet brav zu Hause, die wird erst wieder glühen, wenn wir zurück sind.
Du bist eine der Designerinnen mit dem umfangreichsten Angebot bei Sewunity. Woher nimmst du all diese Ideen?
Das ist absolut unterschiedlich. Ich habe aber immer ein Notizbuch bei mir, denn die Ideen kommen nicht, wenn ich mich hinsetze und überlege, was ich als nächstes gestalten möchte. Sie kommen beim Einkaufen, Eisessen, im Freizeitpark, abends vor dem Schlafengehen, usw. – daher brauch ich immer Papier und Stift zur Hand 😀
Wolltest du schon immer was mit Mode machen?
Ja, schon irgendwie. Bedingt durch meine Oma, die Schneiderin war, habe ich schon als kleines Kind begonnen, mir aus Katalogen tolle Klamotten auszuschneiden und auf Papier aufzukleben *lach*
Wann hast du das erste Mal an einer Nähmaschine gesessen? Erinnerst du dich noch an die ersten „Gehversuche“?
Ja – ich war 5 oder 6 Jahre alt, als mir meine Oma das Nähen beibrachte. Damals auf einer Maschine, bei der man das Fußpedal noch selbst ständig immer wieder drücken musste, ganz ohne Strom. Die Maschine habe ich übrigens heute noch als Erbstück, auch wenn ich nicht mehr darauf nähe.
Das Erste, was ich mit ihrer Hilfe genäht habe, war damals ein Rock für mich. Aus Webware – und mit viiiel Bügeln. Gefühlt musste ich mehr bügeln als nähen 😀.
Und wenn du einem Anfänger ein paar heiße Tipps mit auf den Weg geben würdest - was wäre diese? Worauf kann man deiner Meinung nach beim Nähen nicht verzichten, und was wird überbewertet?
Einem Nähanfänger würde ich raten: Probiere zunächst an alten Bettlaken oder ausgeleierten T-Shirts aus. Am Anfang hat man doch einiges für die Ablage P – das ist ganz normal. Kein Meister ist vom Himmel gefallen. Nicht verzichten sollte man auf gutes Garn und gute Nadeln – nichts nervt mehr, als wenn die Maschine Stiche auslässt oder das Garn ständig reißt. Überbewertet wird ein Nahtauftrenner. Ja, ich weiß, viele lieben und vergöttern sie, aber: eine kleine Nagelschere tut es auch 😀 .
Wann hast du dir gesagt: Ich mach mich jetzt selbständig und verkaufe meine E-Books? Erzähl doch mal von deiner Initialzündung für Engelinchen.
Das war 2010 während der Uni. Wir hatten das Fach Unternehmensgründung und sollten zum Schein am Ende des Semesters einen Businessplan schreiben für eine Firmengründung. Tja, und dann hatte ich den Plan, mein Dozent war hellauf begeistert und sagte „mach et!“ 😀 … Da zu der Zeit die Anfragen nach meinen Kleidungsstücken immer mehr wurden, hab ich irgendwann gesagt: Ok, dann mach ich das jetzt. So als kleine Nebenbeschäftigung und zum stressigen Uni-Alltag. Zunächst war es nur Kleidung, die ich auf Bestellung angefertigt habe, später kam dann der Dawanda-Shop dazu. Da ich mir die Schnitte für meine Kleidung eh schon immer selbst gemacht habe, habe ich 2012 dann das 1. Schnittmuster ins Probenähen gegeben. Seitdem sind weit über 150 neue Schnitte entstanden – und kein Ende in Sicht, ich habe noch wahnsinnig viele vollgezeichnete Seiten in meinem Skizzenbuch.
Dann bist du ja von Anfang an professionell rangegangen. Oder warst du - wenn man es jetzt in der Retrospektive anschaut - auch an manchen Stellen etwas blauäugig? Gibt es etwas, was du der jüngeren Nicole von damals als heißen Tipp mit an die Hand geben würdest?
Dadurch, dass ich durch die Uni alle Grundlagen bei der Unternehmensgründung erlernt habe, bin ich doch sehr professionell herangegangen. Unterschätzt habe ich jedoch, dass ich alles allein machen könnte. Schließlich habe ich meinen Master in Business Management mit dem Schwerpunkt Marketing gemacht – und somit eigentlich von allem eine Ahnung, was ich für mein Unternehmen brauche: Rechnungswesen / Buchführung, Marketing, Personalwesen, Logistik, … Doch all das frisst sehr viel Zeit. Zeit, die ich mit dem Designen verbringen könnte und so noch produktiver wäre. Mein Atelier ist derzeit im Bau, sobald dies endlich (ich hoffe, Ende des Jahres) fertig ist, kann ich endlich eine Mitarbeiterin einstellen, der sich zumindest um den Kundenkontakt kümmert. Darauf freue ich mich schon wahnsinnig!
Dein Schwerpunkt liegt bei den Kindern. Warum hast du dich für diese doch eher hart umkämpfte Nische entschieden?
„Arbeite das, was du am Liebsten machst – dann fühlt es sich nie wie Arbeit an!“ – genau nach dem Motto lebe ich. Ich liebe, was ich tue – liebe es auch, meine Kinder individuell einzukleiden. Und daher war für mich schon immer klar: wenn, dann erstelle ich überwiegend Baby-/und Kinderschnitte.
Viele Kreative sagen ja, dass sie vor allem deswegen selber nähen, um etwas Einzigartiges zu haben. Auf der anderen Seite ist Nähen ein Massenphänomen. Wie einzigartig sind deiner Meinung nach selbst genähte Sachen heute?
Natürlich gibt es Stoffe und auch Schnitte, die mehr geliebt werden wie andere und entsprechend oft dann Kleidungsstücke ähnlich sind. Trotzdem sind Kinder darin einzigartig – schon allein deshalb, weil es extra für sie angefertigt wurde.
Was ist für dich die größte Schwierigkeit beim Designen?
Der „Flow“ – es gibt Tage und Wochen, da klappt einfach nichts. Ich habe etwas im Kopf bereits fertig, aber es möchte nicht so klappen wie ich mag. Da hilft dann nur: Laptop zu und was ganz anderes machen, irgendwann läuft es von allein wieder. Und dann habe ich Phasen, da designe ich auch schon mal um die 10 Schnitte gleichzeitig, weil die Ideen nur so sprießen – so wie aktuell gerade.
Und was ist das absolut Schönste an deinem Job?
Dass ich von überall auf der Welt arbeiten kann – und vor allem auch wann ich möchte.
Erlaubst du uns einen kleinen Blick hinter die Kulissen? Wie entsteht so ein Engelinchen-E-Book?
Da gibt es eigentlich auch wieder zwei Möglichkeiten:
Entweder, ein Schnitt ist von langer Hand geplant, schon seit Wochen oder Monaten im Skizzenheft. Wenn ich meine, der soll es jetzt sein, beginne ich zunächst, die Größe meiner Tochter (aktuell Gr. 110) zu designen. Diese Schnittteile nähe ich dann zur Probe, passe sie an, wenn nötig und nähe dann noch einmal. Wenn es für mich so stimmig ist, gradiere ich die anderen Größen und gebe zunächst meinem Stammteam Bescheid, dass das Probenähen ansteht. Die Mädels dürfen dann, wenn sie mögen, direkt mitnähen. Ein weiteres Team hinter meinem Stammteam wird danach informiert – und je nachdem, wie viele mitnähen und welche Größen abgedeckt werden, schreibe ich manche Schnitte auch noch öffentlich aus und wähle dann die passenden Probenäher aus. Manchmal geht es dann recht fix – so ein Probenähen kann auch schon mal nach 10 Tagen beendet sein, wenn von Anfang an alles passt und es ein recht schnell zu nähender Schnitt ist. Andere Probenähen laufen über viele Wochen oder auch Monate – mir ist es wichtig, dass sie dann perfekt sind, wenn sie auf den Markt gehen.
Ab und an passiert es aber auch, dass während eines Probenähens plötzlich ein Gedankenblitz kommt: könnte man nicht aus der Hose auch einen Rock mit denselben Taschen machen? Vielleicht noch eine 2. Lage. Oder Abnäher. Rüschen. Irgendwas. Und dann kann dies auch schon mal innerhalb von zwei Stunden fertig sein, sodass ich die interessierten Probenäher aus dem aktuellen Probenähen gleich mit rüber nehme.
Ist soweit alles stimmig, bekommen meine Probenäher einen Abgabetermin für Bilder, die ich mit in die Anleitung nehmen darf. Nach diesem Termin schreibe ich dann nur noch die Namen der Mitwirkenden in die Anleitung sowie die Fotos – und fertig ist das Schnittmuster😀 .
Und hast du schon konkrete Pläne, auf was wir uns als nächstes freuen dürfen?
Aktuell sind einige Dinge im Probenähen. 3 Babybodys folgen in Kürze, ein „normaler“, ein Wickelbody und einer mit amerikanischem Ausschnitt. Alle 3 werden Freebooks. Außerdem ist eine besondere Krabbel- und Spielzeugdecke im Probenähen. Dazu eine Tunika, ein Ballonrock und auch ein Drehkleid darf diese Woche noch ins Probenähen starten.
Zum Abschluss noch eine Frage in eigener Sache: Auf Sewunity können ja Schnittmuster nach einem Fünf-Sterne-Prinzip bewertet werden. Wie viele Sterne würdest du denn Sewunity geben, und warum?
Definitiv 5! Ich finde es klasse, dass jeder selbst Designbeispiele hochladen kann – das ist eben doch etwas anderes, als die „für Werbung ins rechte Licht gerückte Kleidung“ – so kann man schauen, ob es wirklich sitzt. Auch die Schnittmustersuche finde ich absolut super – leichter wird man nirgends fündig. Zu guter Letzt möchte ich noch die „Nähe am Kunden“ loben – denn nicht nur durch das Forum, sondern auch durch tolle Gadgets wie z.B. die to-sew-Liste fühlt man sich als Kunde schon fast wie zu Hause 😀
Und ein kleines Spielchen wollen wir auch noch mit dir spielen. Ich nenne dir immer zwei Begriffe und du sagst ganz spontan, was für dich eher zutrifft:
- Rollschneider oder Schere? Schere
- E-Book oder Papierschnitt? eBook
- Webware oder Maschenware? Webware
- Nähkurs oder Autodidakt? Autodidakt
- Overlock umfädeln oder immer mit der gleichen Farbe nähen? Immer mit gleicher Farbe (immer weiß)
- Onlineshopping oder Stoffgeschäft? Onlineshopping
- Couch oder Laufschuhe? Couch (mit einem tollen Buch)
- Kaffee oder Tee? Tee – Kaffee mag ich gar nicht
Vielen Dank für deinen Besuch!