Sie ist in Sachen Schnittmustererstellen gerade zu ein alter Hase: Bettina von DongoDesign entwirft schon seit Anfang der Neunzigerjahre Schnittmuster für außergewöhnliche Kleidungsstücke und Taschen. Mit einem eigenen Label und einem Ladengeschäft für ihre Kollektionen war die Frankfurter Designerin eigentlich ausgelastet, bis sie 2007 beschloss, ihre Mode auch für Selbermacher zur Verfügung zu stellen. Heute hat sie uns im Nähcafé besucht und erzählt davon, wie sie schon in der Schule die Leidenschaft für schöne Stoffe entdeckte, warum Nähen für sie ein nachhaltiges Hobby ist und wie man auf die Idee kommt, ein Kleid aus Krawatten zu nähen.
Sewunity: Liebe Bettina, herzlich willkommen in unserem Nähcafé! Wie schön, dass du dir die Zeit für uns genommen hast. Wovon halten wir dich denn gerade ab?
Bettina: Im Moment beschäftige ich mich mit einem Schnittmuster-Auftrag für eine junge Schweizer Designerin, für die ich ihre Ideen in produktionsreife Schnittmuster umsetze. Und ansonsten habe ich gerade meinen seit Jahren fortlaufenden Näh- und Schnittmuster-Kurs, den ich in meinem Atelier gebe, beendet.
Außerdem entstehen natürlich neue Modelle, gestern habe ich ein neues Mantelschnittmuster fertiggestellt, ich muss es jetzt nur noch an meinem Modell fotografieren und danach veröffentlichen.
Wir freuen uns sehr, dass unsere User die Schnitte deines Labels „DongoDesign“ nun auch direkt bei uns kaufen können. Wie hast du Sewunity eigentlich entdeckt?
Witzig , ich habe, um meinen Marktwert zu ermitteln, mein Label gegoogelt und habe mich gewundert, warum da jemand, von dem ich nichts weiß, meine Schnittmuster auflistet. Dann habe ich im Impressum geschaut und angerufen und mich nach einem sehr netten Gespräch mit Tatjana dazu entschlossen, meine Schnittmuster hier anzubieten.
Als studierte Modedesignerin bist du ja fast ein Exot unter den E-Book-Erstellern. Aber auch du hast die Leidenschaft für Mode und Stoffe ja nicht erst im Studium entdeckt. Wie hat bei dir die Beziehung zum Nähen angefangen?
Ich war in der Schulzeit auf einem künstlerisch ausgerichteten Internat und habe dort in den unterschiedlichen Werkstätten vom Bücherbinden bis zum Töpfern, Schreinern und Goldschmieden auch ein Interesse für die Herstellung von Stoffen in der Weberei entdeckt, das führte dazu, dass ich anfing nach dem Abitur Textildesign, also Stoffe und Muster entwerfen, zu studieren.
Für das Studium musste ich vorher ein halbjähriges Praktikum in einer Textilfirma machen und dort landete ich zuerst in der Lehrlingsabteilung der Schneiderei. Tja, damals fing ich an zu nähen und bis heute konnte ich nicht aufhören, es ist eine Form kreativer Besessenheit. Alle Ideen, die ich schon lange im Kopf hatte, konnte ich mir damals endlich selbst verwirklichen.
Weißt du auch noch, was das Allererste war, was du an einer Nähmaschine genäht hast?
Ja, in dieser Lehrlingswerkstatt gab es einmal im Monat einen Privatnähtag, und ich als Praktikantin dachte, das gilt auch für mich, und grenzenlos größenwahnsinnig wie ich war, habe ich mir Stoff für ein Burda-Kombination-Schnittmuster für eine Bluse mit Rock in einem weißen Stoff mit roten Pünktchen gekauft, das war im Hertie (gibt es nicht mehr, heißt jetzt Karstadt) und dort konnte man auch gleich für einen Aufpreis zuschneiden lassen. Habe ich gemacht und dann hatte ich 3 anstelle von einem Privatnähtag habe aber durchgehalten und dabei sehr viel gelernt. Und den Zweiteiler habe ich einige Jahre sehr gerne getragen.
Wann reifte in dir denn der Gedanke, dass du diese Leidenschaft zu deinem Beruf machen willst? Schon als Kind? Oder hat sich das erst mit der Zeit entwickelt?
Da ich aus einem Künstlerhaushalt stamme, meine Eltern waren beide auf der Kunstakademie, wo sie sich kennengelernt haben, bin ich mit vielen Formen von Kreativität aufgewachsen und habe schon als Kleinkind angefangen zu malen, aber auch zu singen
Zu meinem Beruf bin ich durch das Textildesign Studium, in welchem ich auch Schnitterstellung und Nähen als Fächer hatte, gekommen. Ich entdeckte, dass Schnittmuster entwickeln noch viel mehr Möglichkeiten bietet als das Entwerfen von Stoffen, denn es kommt die Dreidimensionalität hinzu.
Du hast dich ja schnell selbständig gemacht und eigene Kollektionen entworfen. Wann hast du denn den Schritt gewagt und damit begonnen, Anleitungen für andere Näherinnen zu veröffentlichen? Und welches war dein erstes E-Book?
Vor 11 Jahren habe ich begonnen, Unterricht für Design und Schnittentwicklung und Nähkurse zu geben, wobei ich immer mehr nach meinen Schnittmustern gefragt wurde.
Da habe ich begonnen, für meine Schülerinnen direkt Schnittmuster zu machen, aber damals noch in Papierformat von Hand aufgezeichnet. Und vor 5 Jahren habe ich mir das Schnittmusterprogramm zugelegt und gelernt, die Schnitte im Computer zu entwickeln und so entstand meine Kollektion von E-Books. Das erste war die Wendetasche Ibiza.
Ich weiß, man hat ja keine „Lieblingskinder“ – aber hast du einen Lieblingsschnitt? Mit welchem deiner E-Books verbindest du am meisten?
Mit „Die Japanische Welle“, es ist der aufwendigste Schnitt und gestaltete sich zu einer Art Doktorarbeit, aber es ist phantastisch, wenn dann am Ende aus einem Schnittmuster, das aussieht wie Blasentang, ein wunderbares Sommerkleid genäht hat Allerdings ist auch mein Bestseller, der Walkmantel Scarlet, für mich der ultimative Schnitt, da ich den Mantel auch selbst den kompletten Winter getragen habe.
Unser heutiges Nähkästchen steht ja ein bisschen unter dem Motto der Nachhaltigkeit. Ist für dich Nähen generell ein nachhaltiges Hobby?
Für mich ist Nachhaltigkeit auf jeden Fall sehr wichtig, da ein Stoff oder auch ein Kleidungsstück immer die Arbeit derer, die es hergestellt haben, beinhaltet und daher wertgeschätzt werden sollte. Wenn ich zum Beispiel Leder verarbeite, nehme ich immer alte Ledermäntel, die ich auf Ebay oder dem Flohmarkt besorge, auseinander nehme, denn die Tiere, die dafür sterben mussten, haben diese Form von Wertschätzung verdient. Zum Beispiel war die Footballtasche früher auch einmal ein Mantel
Einige deiner Schnitte hast du als Upcycling-Projekte entwickelt. Wie kommen dir diese Ideen?
Manche Ideen träume ich, andere entstehen im Prozess der Schnittentwicklung. Oder ich bin bei Freunden in Österreich, mir fällt dort eine Trachtenjacke in männlicher Riesengröße in die Hand mit genialem Material, die kann ich doch nicht liegenlassen, die schreit ja förmlich danach, in neuer Optik wieder in die Welt entlassen werden zu dürfen.
Mein persönliches Highlight ist ja La Cravatta – wie bist du darauf gekommen, ein Kleid aus alten Krawatten zu nähen?
Ein Freund von mir hat eine Pizzeria namens La Cravatta in Frankfurt. Den Namen bekam sie, weil er über Jahre hinweg immer verrückte, sehr bunte, aber hochwertige Krawatten trug, die so zu seinem Markenzeichen wurden. Der Pizzarist bearbeitete mich mehrere Jahre lang, ich solle ihm aus seinen Krawatten einen 3teiligen Anzug entwerfen, und zu seinem fünfzigsten Geburtstag habe ich ihm seinen Wunsch erfüllt. Seine Tochter wurde mir als Hilfe an die Seite gestellt und hat mir dabei geholfen.
Er kam mit Säcken voller wunderbarer Seidenkrawatten in mein Atelier und seine Tochter und ich haben sortiert und zusammengestellt und am Ende gab es außer seinem Anzug noch mein Modell La Cravatta.
Du bist ja schon sehr erfahren, was die Nähwelt angeht. Ist der momentane Boom für dich eine kurze Erscheinung, oder glaubst du, die Leidenschaft fürs Nähen bleibt bestehen? Oder war Nähen gar nie out?
Nähen war nie out, es hat nur eine andere Dimension erreicht, wer sich dafür entscheidet zu nähen und dabei eine Leidenschaft für Materialien und Schnitte entwickelt, erweitert damit seinen Horizont und auch ein gewisses Suchtpotential.
Und dürfen wir noch einen Blick hinter die Kulissen werfen? An was für einem Projekt arbeitest du zurzeit?
Mehrere Shirtvariationen, mit Kapuze, weit ausgestellt, weitem gerafften Ärmeln, eine Art all-in-one Modell. Und nebenbei an einem neuen Herrenhemdschnitt.
Viele NäherInnen haben ja „Angstgegner“, Projekte, denen sie sich nicht stellen wollen. Hast du auch einen? Und was empfiehlst du weniger erfahrenen Kreativen, wenn sie sich etwas nicht trauen?
Gerade die Angstgegner sind die Herausforderung, die das Leben interessant macht und unseren Blickwinkel vergrößert. Meine Schwester hat einmal bei mir eine Hose genäht und dabei aus Versehen den Tascheneingriff in der Hinterhose ausgeschnitten. Sie wollte sie fluchend in die Ecke werfen.
Wir haben dann den Tascheneingriff von vorne nach hinten übergehend gemacht, wodurch eine neue Taschenform entstand. Versucht es einfach, und wenn es nicht klappt, sucht euch einen schönen Kurs.
Bei Sewunity können User Schnittmuster bewerten, um anderen Kreativen bei der Entscheidung weiterzuhelfen. Drehen wir den Spieß doch einmal um: Wie viele Sterne würdest du Sewunity geben, und warum?
5 Punkte von 5, da eine gute Idee und nette Leute dahinter stecken
Zum Abschluss würden wir auch mit dir gerne ein kleines Entscheidungsspiel spielen. Wir geben dir zwei Begriffe vor und du wählst bitte einfach den Begriff aus, der besser zu dir passt:
Rollschneider oder Schere? Schere
E-Book oder Papierschnitt? Selber machen: E-Book
Webware oder Maschenware? Beides, aber Webware verzeiht kein schlechtes Schnittmuster
Nähkurs oder Autodidakt? Nähkurs bringt auf Dauer mehr
Overlock umfädeln oder immer mit der gleichen Farbe nähen? Hallo? Umfädeln natürlich
Onlineshopping oder Stoffgeschäft? Stoffgeschäft, da es ein sinnlich, haptisches Erlebnis ist Stoffe zu entdecken und kaufen, abgesehen davon sterben sonst die Fachgeschäfte! Auch das ist Nachhaltigkeit!
Kaffee oder Tee? Kaffee in meiner Espressokanne
Couch oder Laufschuhe? Couch und Yogamatte
Liebe Bettina, vielen Dank für das Gespräch!