Sie ist Schneidermeisterin mit Leidenschaft, Bundesvorsitzende des Maßschneiderhandwerks und seit "Geschickt eingefädelt" jedem Fan der Sendung bestens bekannt als die Frau, die wirklich jeden noch so kleinen Fehler sieht: Inge Szoltysik-Sparrer. Im Interview mit Sewunity verrät sie unter anderem, wie sie auf den ersten Blick eine gute Verarbeitung erkennt und wie man einen Ärmel eigentlich absolut richtig in ein Kleidungsstück einsetzt.
Sewunity: Liebe Inge, erst einmal vielen Dank dafür, dass Sie uns für ein Interview zur Verfügung stehen. Sie sind nicht nur Vorsitzende im Bundesverband der Maßschneider, viele Nähfans kennen Sie auch aus der Vox-Produktion "Geschickt eingefädelt". Wie kam es dazu, dass Sie eins der Gesichter der Sendung wurden?
Inge Szoltysik-Sparrer: Ganz einfach, VOX hat bei unserem Bundesverband nachgefragt und ich habe gleich Interesse signalisiert. Nach dem Casting hat es dann nicht lange gedauert und die Entscheidung fiel auf mich. Darüber habe ich mich sehr gefreut und bin sehr dankbar dafür, bei diesem wunderschönen und neuen Format mit dabei zu sein.
Der DIY-Markt boomt aktuell, Nähen und Selbermachen steht wieder ganz hoch im Kurs – und das Internet macht es möglich, dass jeder mit der Hilfe von einigen Youtube-Videos die ersten Versuche an der Nähmaschine machen kann. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung – oder was würden Sie jemanden raten, der gerne nähen lernen möchte?
Ich finde es toll, dass Nähen so eine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommt, das war nicht immer so und das Schneider-Handwerk profitiert sehr davon. Überall wird über das Nähen gesprochen. Ich gehe davon aus, dass dieser Hype nach der Sendung noch sehr nachhaltig anhalten wird. Ich rate allerdings jedem Hobbyschneider, anstelle von Youtube lieber einen guten und professionellen Nähkurs zu besuchen, wenn man Hand in Hand die Techniken erklärt bekommt und immer wieder nachfragen kann. Und mit etwas einfachem beginnen, zum Beispiel einem Rock oder einfach einem Schal oder einer Stola, um sich erstmal mit dem neuen Hobby vertraut zu machen.
Qualität ist ein wichtiges Thema. Auf Plattformen wie Dawanda kann jeder, der gerne möchte, Schnittmuster erstellen und verbreiten oder eigene Produkte anbieten. Ist das eine Kampfansage an die, die das Handwerk von Grund auf gelernt haben – oder eine Bereicherung für den Markt insgesamt?
Bundesweit gibt es ca. 2000 professionelle, klassische Maßateliers, in denen auf sehr hohem Qualitätsniveau gearbeitet wird. Das kann man mit den Anbietern auf Dawanda nicht vergleichen, der Kunde kommt zu uns, weil er eine ganz persönliche und individuelle Beratung und eine Person dazu haben möchte. Das kann einem ein noch so gutes Internetportal nicht bieten.
Bei "Geschickt eingefädelt" sind Sie das Jurymitglied mit dem kritischsten Blick von allen – kein Fehler, der Ihnen entgeht. Woran erkennen Sie, ob bei einem genähten Kleidungsstück ein echter Profi am Werk war oder nicht?
Ich sehe einem Kleidungsstück ohne es zu berühren von außen an, ob es von innen gut verarbeitet ist. Das Modell muss Ruhe ausstrahlen, nichts darf sich wellen oder verziehen, die Nähte müssen an den richtigen Stellen sitzen und dürfen nicht zu stramm genäht werden. Und man muss bei jedem Material immer wieder neu ausprobieren. Ein gutes Endergebnis erreiche ich nicht nur durch Nähen. Wichtig ist die Abstimmung zwischen Schnittmuster und Stoffauswahl. Und mindestens genauso wichtig ist das Bügeln, das wird von Hobbyschneidern immer wieder unterschätzt. Nicht nur die Nähte bügeln, sondern auch das "in Form bügeln". Wir Maßschneider sagen dazu "Dressieren": Einen Stoff mit Wärme, Druck und Feuchtigkeit behandeln! Erst dann erzielt man ein perfektes Endergebnis.
In der Sendung wird immer wieder auch von Hand genäht, in der Online-Nähszene findet Nähen von Hand hingegen kaum statt. Welche guten Gründe gibt es, nicht immer nur auf die Maschine zu setzen?
Ich war sehr überrascht, dass die Hobbyschneider so wenig von Hand nähen. Wir reden hier doch über einen Handwerksberuf und da gehört nähen von Hand und mit Fingerhut einfach dazu. Mit der Hand kann ich viel mehr Gefühl in ein Kleidungsstück bringen. Außerdem ist es unser Qualitäts- und Alleinstellungsmerkmal. Bei uns in der Werkstatt wird sehr viel von Hand genäht, wir rollieren, staffieren und pikieren meterweise und es ist immer wieder eine ganz willkommene Entspannungsübung in einem manchmal hektischen Arbeitstag. Man kann sich dabei sehr besinnen. Dann ist man wirklich so richtig im "Flow".
Was ist Ihre persönliche Prognose – wird der aktuelle DIY-Boom anhalten oder handelt es sich um ein kurzzeitiges Phänomen?
Ich denke, dass der DIY-Boom erst am Anfang ist. Viele Menschen arbeiten in Berufen, die sie nicht erfüllen und haben wenig Erfolgserlebnisse dabei. Da kann ich mir mit einem schönen Handwerk selbst ein Stück Lebensfreude geben, das mich mit Stolz erfüllt.
Was sind Ihre persönlichen Pläne für die Zukunft? Wird man Sie demnächst wieder im Fernsehen sehen?
Zunächst bringe ich nach wie vor vollen Einsatz bei uns im Atelier, bei meinen Mitarbeitern und meinen Kunden. Und natürlich beim Bundesverband, dort gibt es auch viel zu tun. Zwischendurch hatte ich noch einen Fernsehauftritt im WDR, bei Bernd Stelter im Quiz NRW-Duell. Fernsehen macht mir auf jeden Fall Spaß, weil es eine ganz andere Welt ist und dennoch alle ihr Handwerk verstehen müssen, genauso wie in unserer Branche.
Noch eine Frage in eigener Sache: Immer wieder diskutieren wir in der Redaktion darüber, was nun der richtige Weg ist, einen Ärmel einzusetzen – die Armkugel annähen und dann Ärmel – und Seitennaht zusammenschließen – oder erst Ärmelnaht und Seitennaht schließen und dann durch das Armloch einnähen? Verraten Sie uns und den Sewunity-Usern doch mal den korrekten Weg.
Ja, Ärmel und Armloch sind wirklich ein sehr anspruchsvolles Thema und man wird nur besser durch Probieren und Erfahren.Bei einem weiten Schnitt, zum Beispiel einem lockeren Shirt, Freizeitkleidung oder einer großzügigen Jacke, kann man erst den Arm einsteppen und dann die Seitennaht schließen – würde ich aber nie tun. Je enger das Teil am Körper liegt und je kleiner das Armloch ist - darin kann man sich übrigens sehr gut bewegen! - desto wichtiger ist erstmal die Armloch- und Armkugelvorbereitung. Meist wird der Arm fälschlicherweise irgendwie "reingepresst". Bei uns wird die Kugel sehr kurz und sehr rund gebügelt und der Arm fällt fast von alleine in das Armloch. Ein Arm muss makellos und sehr senkrecht mit Tendenz nach vorne fallen. Das erreicht man nur, wenn man einen Arm in Form bügelt, so dass er wie eine Banane aussieht. Dazu gehören viel Fingerspitzengefühl und ein erstklassiges Bügeleisen mit Bügelbock. Arm ist ein unendliches Thema - vielleicht sollten wir das mal aufgreifen.
Inge Szoltysik-Sparrer ist Inhaberin des Modeateliers Inge Szoltysik in Hagen. Mittlerweile hat der Fernsehsender Vox bekannt gegeben, dass es 2016 eine weitere Staffel der Sendung "Geschickt eingefädelt" geben wird. Wir sind also zuversichtlich, dass wir Inge Szoltysik-Sparrer auch im neuen Jahr wieder regelmäßig im TV sehen können.
Fotos: VOX/Andreas Friese