Dass die Massenproduktion von Textilien sehr problematisch sein kann, hat Christina vom Label Bara Studio direkt vor Ort in Vietnam lernen dürfen. Seitdem spielt das Thema Nachhaltigkeit beim Nähen eine besondere Rolle für sie. Warum das so ist, worauf sie im Detail Wert legt und wie sie Anfänger fürs Nähen begeistern möchte, darüber berichtet sie ausführlich bei ihrem Besuch im Sewunity-Nähcafé.
Herzlich willkommen im Sewunity-Nähcafé, Christina – und schön, dass du dir Zeit genommen hast. Wie sah dein Tag bis heute aus, was hast du schon alles erledigt?
Erstmal vielen lieben Dank, dass ihr mich für Sewunity interviewen möchtet! Heute habe ich den Tag mit einem Kaffee und dem Schneiden meiner Videotutorials gestartet. Zu jedem meiner Schnittmuster gibt es ja immer ein Erklärvideo und das habe ich die letzten Tage gedreht und nun geschnitten.
Dann warst du ja schon sehr fleißig. Zunächst einmal die Frage, mit der wir fast jedes Interview hier beginnen: Dein Label nennt sich Bara Studio. Was bedeutet dieser Name und wie ist er entstanden?
„Bara“ ist schwedisch und heißt „einfach“. Und das fand ich sehr passend für mein Label, denn ich möchte meine Schnittmuster so einfach wie möglich gestalten, um ein tolles Ergebnis zu bekommen.
Du hast mit dem Nähen schon im jugendlichen Alter begonnen und schnell gewusst: Diese Leidenschaft mache ich zu meinem Beruf. Was hat das Nähen von Anfang an so faszinierend für dich gemacht?
Puh! Das ist eine sehr gute Frage! Ich glaube, ich hatte schon immer Spaß daran, etwas mit meinen eigenen Händen zu erschaffen. Ich liebe Stoffe und ich denke, das war dann nur logisch, dass ich nähen lerne. Damals gab es ja noch keine YouTube-Videos, also habe ich Nähen ganz klassisch in einigen VHS-Kursen gelernt. Dabei war natürlich auch immer die Burda-Zeitschrift mit dabei. Und da ich aus dem Rheinland komme, konnte ich mich dann beim Nähen von Karnevalskostümen total austoben!
Ein Grund, warum das Selbernähen von Kleidung eine ganz besondere Bedeutung für dich hat, ist die Tatsache, dass du als Produktionsmanagerin auch Einblicke in die Textilproduktion direkt vor Ort in verschiedenen Ländern gewonnen hast, unter anderem in Vietnam. Was hast du dort gesehen und erlebt und warum ist die Massen-Textilproduktion deiner Meinung nach so problematisch?
Ich habe damals eine Produktion in Hanoi betreut, in der Daunenjacken hergestellt wurden. Es war einfach ein riesiger Berg mit Daunenjacken, 40 Grad Außentemperatur und ich saß mittendrin und habe nach Fehlern gesucht. Irgendwie habe ich da angefangen, mich zu fragen: „Wer braucht das alles?“ Und genau diese Frage hat sich dann in meinen Kopf gebrannt. Wie kann man weniger konsumieren und gleichzeitig mehr Wertschätzung gegenüber Kleidung bekommen? Klar! Indem man es selber näht! Da lernt man dann jede einzelne Naht zu schätzen und weiß, welcher Aufwand dahintersteckt. Gleichzeitig würde man auch ein selbstgenähtes Kleidungsstück niemals nach einmal Tragen wegschmeißen, sondern wird es pflegen und darauf achten, dass es lange hält!
Du erstellst nicht nur Schnitte, du verkaufst auch Stoffe. Achtest du hier vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit auch auf eine spezielle Auswahl?
Ja! Bei meinen Stoffen habe ich immer im Kopf, dass es so nachhaltig wie möglich ist. Durch mein Studium in Textil- und Bekleidungstechnik kenne ich natürlich auch die Herstellungsverfahren jeder Faser in- und auswendig. So kann ich gut bewerten, was nur „greenwashing“ ist und was wirklich nachhaltig ist. So kaufe ich zum Beispiel gerne Restbestände von Webereien auf, die für die Bekleidungsindustrie nicht mehr verwendet werden. Auch Sweats, French Terry und Jerseys aus GOTS-zertifizierter Bio-Baumwolle gehört zu meinem Programm.
Ich habe vor Kurzem eine Eigenproduktion rausgebracht. Das ist ein Leoprint auf einer EcoVero Viskose. Das ist eine nachhaltige Viskose, bei der 50% weniger Wasser verbraucht und 50% weniger CO2 ausgestoßen wird. Zudem stammen die Rohstoffe aus zertifizierter Forstwirtschaft. Das ist für mich dann nachhaltig. Auf Polyester verzichte ich komplett. Egal ob es nun recyceltes Polyester oder „neues“ Polyester ist. Einerseits kann man kaum nachvollziehen, woher dieses recycelte Polyester stammt. Zum Anderen wird bei jedem Waschgang Mikroplastik ausgewaschen, welches dann in Umlauf gebracht wird.
Kommen wir nun zum Thema, was für unsere Sewunity-Userinnen die höchste Bedeutung hat – deine Schnitte. Du setzt deinen Schwerpunkt auf Damenschnitte. Was macht deren Erstellung für dich so interessant?
Bei Damenschnitten gibt es so viele Möglichkeiten! Man kann einfach richtig kreativ sein. Auch wenn meine Schnitte oft eher reduziert und minimalistisch sind, ist es hier besonders wichtig, dass der Schnitt perfekt ist. Schon im Studium habe ich Schnittkonstruktion geliebt und das macht mir auch heute noch am meisten Spaß. Neue Schnitte zu kreieren, die dann in so vielen verschiedenen Varianten genäht werden. Oft bin ich selbst erstaunt, wie unterschiedlich ein Schnitt in verschiedenen Stoffen und Größen aussehen kann.
Schaut man sich auf deiner Seite um, fallen einem die klaren, cleanen Fotos aus. Was ist dir bei der Gestaltung eines E-Books besonders wichtig, wann ist es deiner Meinung nach perfekt?
So viel wie nötig und so einfach wie möglich. Besonderes als Anfänger ist man schnell überfordert von zu vielen Varianten in einem Schnitt. Deshalb verzichte ich bewusst auf zu viele verschiedene Möglichkeiten im E-book. Ich biete dann für fortgeschrittene Näher kostenlose Add-Ons an, um sich seinen Schnitt abzuändern. Das finde ich eine super Lösung, damit die Schnitte unterschiedlichen Nähleveln gerecht werden.
Auch Nähtutorials gehören zu deinem Angebot. Kann man das Nähen anhand von Tutorials eigentlich selbst lernen – oder würdest du eher den Besuch eines Nähkurses empfehlen?
Ich hätte mir früher sehr gewünscht, mal ein Video zu haben, in dem Nähen erklärt wird. So kann man ganz bequem zu Hause, egal zu welcher Uhrzeit, Nähen lernen! Nähkurse sind natürlich auch super, allerdings auch nicht so günstig. Auch finden sie immer zu einem festen Zeitpunkt statt, und wenn man genau an diesem Tag nicht kann, ist man aufgeschmissen. Als ich damals Nähkurse besucht habe, fand ich aber besonders den Austausch mit anderen Nähbegeisterten sehr wertvoll. Vielleicht biete ich dann, sobald es wieder geht, auch mal einen Nähtreff an. Das wäre nach der langen Zeit alleine Nähen sicher eine schöne Abwechslung!
Apropos Anfänger … mal angenommen, jemand kommt zu dir und sagt: „Christina, ich möchte gerne mit dem Nähen beginnen“. Welche Anschaffungen empfiehlst du – und was ist deiner Meinung nach für einen Kauf am Anfang eher überflüssig?
Eine Einsteigernähmaschine, eine Stoffschere, ein Maßband, Stecknadeln und ein Markierstift. Mehr braucht man nicht, um zu starten! Eine Nähmaschine muss am Anfang gar nicht gekauft werden. Vielleicht hat ja die Mutter, Tante oder Nachbarin noch eine rumstehen, die man sich für den Anfang ausleihen kann.
Absolut überflüssig finde ich, sich direkt am Anfang mit allem möglichen Zubehör und Kurzwaren einzudecken. Ganz beliebt ist es ja sich auf dem nächsten Stoffmarkt einzudecken mit meterweise Stoffen, Knöpfen und Reißverschlüssen. Die Erfahrung zeigt, dass man nie das da hat, was man für das nächste Projekt dann braucht. Ich kaufe tatsächlich nur noch Kurzwaren, wenn ich ein konkretes Schnittmuster dafür habe.
Auch als Profi hast du ja sicher einige Dinge, die du beim Nähen lieber machst, und andere, die du nicht so gerne tust. Magst du uns verraten, was das ist? Welche Arbeitsschritte führst du besonders gerne aus und welche sind eher eine lästige Pflicht?
Ich liebe Reverskrägen! Tatsächlich habe ich noch kein einziges Schnittmuster mit einem Reverskragen rausgebracht, aber für den Herbst ist es fest eingeplant. Mich fasziniert die Verarbeitung dieser Krägen. Wie man aus so vielen unterschiedlichen Nähten und Schnittteilen auf einmal so einen tollen Kragen zaubern kann. Dafür mag ich Reißverschlüsse nicht. Vielleicht liegt es daran, dass wir im Studium so viele davon nähen mussten und die Benotung dieser Arbeitsproben immer vernichtend war. Aber irgendwie machen sie mir einfach keinen Spaß.
Hast du noch Zeit, für dich selbst zu nähen? Und falls ja, welcher deiner Schnitte ist dein persönlicher Lieblingsschnitt?
Da ich meine Schnitte so oft selber probenähen muss, nähe ich selten mal etwas ganz bewusst nur für mich und nicht für Bara Studio. Wenn ich einen Lieblingsschnitt wählen müsste, wäre es wahrscheinlich das Kleid Freja. Das ist so schnell genäht und sieht dabei viel aufwändiger aus, als es ist! Das Kleid kann man im Sommer super gut im Büro anziehen, obwohl es ohne Ärmel ist, weil es mit dem Knoten auf der Schulter gleichzeitig schick, aber trotzdem nicht zu formell ist.
Gibt es Schnitte von Kollegen, die dir ebenfalls besonders gut gefallen und welche du gerne nähst? Wenn ja, welche sind das?
Ich habe mir letztens die „Paola“ von LaBavarese genäht und liebe das Kleid! Wirklich ein richtig schöner Schnitt!
Mal angenommen, Zeit und Geld spielen keine Rolle. Gibt es einen Nähtraum, den du dir gerne mal verwirklichen möchtest? Wenn ja, welcher ist das?
Ich träume schon lange von einer Babylock Overlock. Das wäre wirklich toll!
Hast du Projekte für die Zukunft geplant? Arbeitest du an einem neuen Schnitt? Wenn ja, magst du schon verraten, was als nächstes von dir kommen wird?
Ende Mai kommt meine neue Sommerkollektion raus. Dazu gehören Tops, T-Shirts, Röcke, Blusen und auch eine Jeansjacke. Insgesamt werden es über 10 neue Schnitte werden!
Wie schätzt du aktuell die Lage der Nähszene in Deutschland ein? Wird sie weiter boomen, nachdem sie durch Corona einen Aufwind erfahren hat? Oder wird die momentane Selbermacher-Begeisterung wieder nachlassen?
Ich denke, der DIY-Trend ist ungebrochen. Viele sitzen in ihrem Beruf nur noch am PC und erschaffen nichts mehr, was man mit den eigenen Händen anfassen kann. Ich glaube, das holt man sich durch kreative Hobbys wieder zurück.
Und was muss die Nähszene deiner Meinung nach konkret tun, um ihre Attraktivität nicht zu verlieren?
Viele haben immer noch bunte Bilder im Kopf, wenn sie ans Nähen denken. Ich möchte gerne zeigen, dass auch selbstgenähte Kleidung modern ist und genau so auch beispielsweise bei Zara im Laden hängen könnte.
Natürlich darf auch im Gespräch mit dir unsere Frage in eigener Sache nicht fehlen. Bei Sewunity bewerten User Schnittmuster mit Sternen, fünf Sterne ist die Höchstwertung. Wie viele Sterne würdest du Sewunity geben und warum?
5 Sterne für diese riiiiiiesige Auswahl, die ihr auf der Seite habt! Also, wer hier kein passendes Schnittmuster findet, findet wohl nirgendwo eins.
Vielen Dank für das Kompliment! Nun würden wir auch dich gerne noch zu unserem kleinen Entscheidungsspiel einladen. Wir stellen dir jeweils zwei Begriffe zur Auswahl und würden dich bitten, den jeweils passenden für dich auszuwählen. Los geht’s!
Rollschneider oder Schere? Rollschneider
E-Book oder Papierschnitt? E-Book! ( Ich habe aber auch einen eigenen Din-A0-Plotter ;) )
Webware oder Maschenware? Webware
Nähkurs oder Autodidakt? Beides
Overlock umfädeln oder immer mit der gleichen Farbe nähen? Definitiv umfädeln. Man bekommt ein viel schöneres Ergebnis.
Onlineshopping oder Stoffgeschäft? Stoffgeschäft. Ich fasse die Stoffe gerne an. Deshalb verschicke ich von meinen Stoffen auch Stoffproben.
Couch oder Laufschuhe? Zählen auch Trainingsschuhe? Bin zwar auch mal einen Halbmarathon gelaufen aber richtig Spaß hat mir joggen noch nie gemacht. Mache lieber funktionales Training wie Crossfit oder Freeletics.
Kaffee oder Tee? Kaffee
Vielen Dank für das Gespräch und für eure Zeit!
Vielen Dank für das Gespräch und deine Zeit! 😊